TEXTE
Warum Tennis kein klassischer Kontaktsport ist
Es hätte auch Ringen, Judo oder Fechten sein können. Alles Sportarten, bei denen man dem Gegner oder der Gegnerin buchstäblich zu Leibe rückt und die Matte oder die Planche hinterher schweißgebadet wieder verlässt. Warum also ausgerechnet Tennis? Vermutlich deshalb, weil man sich hier eben nicht stets aus Neue im Nahkampf erproben muss. Weil die Kunst hier vielmehr gerade darin besteht, sich den Kontrahenten oder die Kontrahentin mit druckvollen Auf- und Grundschlägen möglichst weit und möglichst lange vom Leib zu halten. Zum Körperkontakt kommt es meist nur beim anerkennenden Schulterklopfen des Teamkollegen nach einer starken Leistung, beim gegenseitigen Abklatschen der beiden Partner im Dop pel oder beim Shake Hands am Netz unmittelbar nach dem Match. Nichts also für Sportler, die herzhaft zupacken und dem Anderen auch mal an den Kragen wollen. Aber mal ehrlich: Können Sie sich ernsthaft vorstellen, die Nachmittage auch im vorgerückten Alter noch mit Uchi-matas (den Innenschenkelwürfen beim Judo) oder mit Nelson-Griffen (speziellen Nackenhebeln beim Ringen) zu verbrin gen? Und das auch noch in einer sauer stoffarmen, meist künstlich beleuchteten Sporthalle, anstatt unter freiem Himmel auf dem Tennisplatz? Natürlich gibt es auch beim Tennis Situationen, in denen das überschaubare Kontakt-Repertoire noch erweitert wird. Etwa dann, wenn man dem kaum fünf Meter entfernten Gegner aus Versehen einen Schmetterball mitten ins Gesicht oder auf den Körper drischt. Oder wenn man im Doppel bei einem Passierschlagversuch der Gegner durch die Mitte mit dem eigenen Partner zusammenrumpelt. Ab den mittleren Altersklassen erhöht sich zudem die Gefahr, beim Erlaufen eines eigentlich nicht mehr erreichbaren Balles blöd zu stürzen und von dem unliebsamen Boden kontakt (ja, den gibt es auch) schmerzhafte Blessuren oder gar Frakturen davonzutra gen. Aus den genannten Gründen könnte man Tennis deshalb auch als „Distanzsport mit einzelnen Berührungselementen“ bezeichnen. An seiner grundsätzlichen Klassifizierung ändert sich dadurch jedoch nichts. So gehörte Tennis nach dem Höhepunkt der Corona-Pandemie zu den ersten Sportarten, die zunächst in anderen Bundesländern und dann auch im Freistaat Bayern als sogenannter Nichtkontaktsport wieder erlaubt wurden. Kein Wunder, die Gefahr, sich während der Ballwechsel beim meist viele Meter entfernten Spiel partner anzustecken, wurde von Virologen als äußerst gering eingeschätzt – auch wenn sie davon ausgehen mussten, dass der eine Partner dem anderen etwas husten würde, sollte letzterer darauf bestehen, bei der Ausübung dieses Sports eine Maske zu tragen.
Man könnte den Bogen jetzt weit spannen und sagen: Dass Tennis kein Kontaktsport ist, zeigt sich auch daran, wie sehr die Kontakte nachlassen, wenn man wegen Verletzung oder Krankheit für das Hallen-Abo oder für die Ligarunde länger ausfällt. Aber das wäre vermutlich zu kurz gesprun gen und deshalb ungerecht. Das Phäno men, dass sich ausgerechnet dann, wenn man es am dringendsten bräuchte, nur noch wenige, besonders empathiebegabte Mitspieler von Zeit zu Zeit melden, um sich nach dem Befinden des Rekonvales zenten zu erkundigen, lässt sich sicher auch bei ausgeprägten Team- und Kontakt sportarten wie Fußball oder Rugby beo bachten. Das hilft dem Betroffenen in so einer Situation freilich wenig. Fast ist er dann manchmal geneigt, zum Handy zu greifen, seine Festnetznummer anzuwäh len und auf dem Anrufbeantworter seinen eigenen Ansagetext abzuhören – nur um sich mal wieder seiner eigenen Existenz zu versichern. Aber dieser für das eigene Ego nicht einfache Lernprozess hat auch etwas Gutes: Man hat als Langzeitverletz ter plötzlich wieder mehr Zeit für nicht- sportliche Betätigungen wie zum Beispiel das Lesen. Irgendwann landet man dabei dann auch beim eher prosaischen Mitglie derverzeichnis des TCG und stellt beim Durchstöbern fest: Unter den zahlreichen Doktoren, die da eingetragen sind, finden sich auch etliche Doktoren der Medizin. Ob es sich um Knie- und Hüftspezialisten, Orthopäden und Sportmediziner, Kardio logen, Unfallchirurgen oder um Zahnärzte handelt – am besten, man zählt gleich mehrere von ihnen zu seinen festen Tennis partnern. Dann ist die Schnelldiagnose für etwaige Krankheiten, die sofortige Unfall hilfe oder gar eine nötig gewordene Wie derbelebung gleich auf dem roten Sand fast schon garantiert. Zumindest in dieser Hinsicht ist Tennis dann freilich ein Kontaktsport im besten Sinn des Wortes.
Sebastian Hepp